Tragen im Sommer

Heiß….heißer….Sommer in der Pfalz. Aber hält uns das vom Tragen ab? Auf keinen Fall!

Auch im Sommer kann man sein Baby wunderbar tragen. Aber eins sei vorweg gesagt: Das Schwitzen kann man nicht verhindern. Die einzig gute Nachricht dabei: Damit regulierst du auch die Körpertemperatur deines Kindes. Denn so wie sie im Winter schlecht ihre Körperwärme halten können, können kleine Babys auch schnell überhitzen. Das passiert aber nicht beim Tragen, sondern eher im heißen Auto oder zugedecktem Kinderwagen. Wichtig ist wie immer: Atemwege frei lassen.


Was ziehe ich meinem Baby an?

Im Sommer spielt vor allem Sonnenschutz eine wichtige Rolle. Deswegen braucht dein Baby auf jeden Fall eine Kopfbedeckung, die auch den Nacken schützt. In der Trage reicht an sehr heißen Tagen auch ein Body. Nackte Beinchen und Füße kann man dann mit Stulpen schützen. Alternativ kannst du deinem Baby auch eine luftige Stoffhose anziehen. Packe für dein Baby auch immer Wechselkleidung ein, denn nach dem Tragen wird die Kleidung feucht sein. Eventuell brauchst auch du ein frisches Oberteil.

Auch das Tragesystem kann dir das Tragen im Sommer etwas angenehmer machen. Tragehilfen aus gepolstertem Stoff sind natürlich wärmer als Tragen aus einem Tragetuchstoff. Unter einem breiten Gurt schwitzt man mehr als unter einem schmalen. Wichtig ist aber, dass dein Tragesystem passt und gemütlich ist – sonst bringt auch die luftigste Trage nichts.

Auf dem Rücken tragen
Auf dem Rücken schwitzt man weniger! Hier lohnt es sich also im Sommer das Rückentragen für sich zu entdecken. Außerdem können wir schwere Lasten auf dem Rücken besser transportieren, als vor dem Bauch.
Wenn du das Rückentragen bisher noch nicht probiert hast, dann übe am besten zunächst mit einem Kuscheltier oder eine Puppe. Beim ersten Versuch das Baby auf dem Rücken zu bekommen, sollte dir eine zweite Person zur Hand gehen. Und natürlich bekommst du bei einer Trageberatung immer Hilfe, um zu lernen, wie man ein Baby sicher auf dem Rücken tragen kann.
Wenn dein Baby schon etwas älter ist, dann kannst du auch mit einem Onbuhimo auf dem Rücken tragen. Diese Tragehilfe funktioniert ohne Bauchgurt und ist deswegen im Sommer sehr luftig. Allerdings lastet das ganze Gewicht des Babys auf deinen Schulter. Hier lohnt es sich zu testen, ob du diese Trageweise angenehm findest.


Ring Sling
Ein Ring Sling ist ein kurzes Tuch, welches mit zwei Ringen (an der Schulter liegend) geschlossen wird. Bei diesem Tragesystem bleibt eine eine Schulter beim Tragen frei, was gerade im Sommer und bei heißen Temperaturen sehr angenehm ist. Außerdem kommt diese Tragehilfe ohne Gurt aus.
Neben den „klassischen“ Ring Slings aus Tragetuchstoff gibt es auch Modelle aus Mesh oder Lycra, die sich sogar zum Baden eignen.

Luftige Bindeweisen mit dem Tragetuch
Wenn du mit dem Tragetuch trägst, dann kannst du auch sommerliche Bindeweisen ausprobieren. Anstatt der Wickelkreuztrage eignet sich für das Tragen vor dem Bauch zum Beispiel das Känguru oder (je nach Alter deines Kindes) die Doppelkreuztrage. Auf dem Rücken ist der einfache Rucksack sehr luftig. Ausgehend von dieser Bindeweise gibt es außerdem noch viele Shorty Bindeweisen (also Bindeweisen mit einem kurzen Tuch), die nur wenig Stoff um dich und dein Baby hüllen.
Auch eine andere Stoffzusammensetzung deines Tagebuches kann Abhilfe schaffen. Leinen und Hanf nehmen sehr viel Feuchtigkeit auf und sind aus diesem Grund sehr beliebt für den Sommer. Am Anfang müssen diese Tücher aber erstmal „weichgetragen“ werden. Ich mag außerdem noch Tragetücher mit Seidenanteil, da auch Seide bekannt für seine temperaturregulierenden Eigenschaften ist.

Tragen in der kalten Jahreszeit

Im Herbst/Winter machen sich viele Eltern Gedanken, wie sie ihr Baby beim Tragen auch gut warm halten. Und hier kommt direkt die erste gute Nachricht: Um fehlende Wärme braucht man sich absolut keine Gedanken zu machen, denn es gibt einige Hilfsmittel, die dich und dein Baby auch bei eisigen Temperaturen warm halten.
Wichtig ist erstmal, dass du ein kleines Baby auf jeden Fall unter der Jacke trägst. Bei kalten Temperaturen sind die kleinen Menschen noch nicht in der Lage die Körpertemperatur gut zu halten. Ab ca. einem Jahr ist es auch möglich ein Kind über der eigenen Jacke – dick eingepackt – zu tragen. Ich trage aber auch gerne ältere Kinder unter der Jacke, da einerseits das Tragesystem nah am Körper einfach besser sitzt und so das hohe Gewicht des Kindes besser auf den Tragenden verteilt wird. Ganz abgesehen davon genieße auch ich bei kalten Temperaturen meine persönliche Wärmflasche nah am Körper.


Was ziehe ich meinem Baby an?

Wenn du dein Baby unter der Jacke trägst, dann ist die Wahl der richtigen Kleidung sehr einfach. Du ziehst dein Kind genauso an, wie auch du unter der Jacke bekleidest bist; also mit Kleidung, die dein Baby auch in der Wohnung trägt. Die Trage oder dein Tuch bilden eine zusätzliche „Kleidungsschicht“. Jetzt braucht dein Baby nur noch ein paar Accessoires:

* Warme Mütze
* dicke Socken/ Strickschühchen oder Ähnliches
* Stulpen /Babylegs


Da der Kopf aus der Jacke immer rausschauen muss, sollte die Mütze bei kalten Temperaturen gut warm halten. Aus Trage oder Tuch gucken dann nur noch die Beinchen heraus. Hier wärmt man zusätzlich mit Schühchen/dicken Socken und Stulpen unter der Jacke. Ein Vorteil: Wenn du nach drinnen kommst, musst du nicht dein ganzes Kind ausziehen. Im besten Fall schläft dein Baby einfach weiter.
Ganz wichtig: Unter der Jacke niemals einen Schneeanzug oder ähnliches verwenden. Einerseits sitzt eurer Baby in so einem dicken Anzug sehr schlecht in Trage oder Tuch und der tolle Nebeneffekt des „sich gegenseitig wärmen“ geht auch verloren, da die Anzüge ja entsprechend isolierend wirken. Auch wenn ihr über der Jacke ein größeres Kind tragt, dann ist der Schneeanzug eine schlechte Idee. Die Luftkammern in der Jacke werden beim Tragen zusammen gedrückt – der Anzug wärmt dann gar nicht mehr. Wenn ihr Bedenken habt, ob euer Kind warm genug angezogen ist, dann prüft die Temperatur im Nacken des Kindes.

Um das Baby unter der Jacke zu Tragen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Auf dem Markt gibt es Tragejacken, Tragecover und Jackenerweiterungen, die es ermöglichen das Baby unter der Jacke zu tragen. Gerne möchte ich euch die Vor- und Nachteile der einzelnen Systeme vorstellen.

Tragejacken
Eine Tragejacke umhüllt dich und dein Baby komplett. Die Jacken besitzen einen zusätzlichen Trageeinsatz, der die Jacke entsprechend erweitert. So kann die Jacke auch ohne den Trageeinsatz „solo“ getragen werden. Falls du mit dem Kinderwagen unterwegs bist, kannst du den Jackeneinsatz und dein Tragesystem einfach mitnehmen und bei Bedarf wechseln. Mein Tipp: Achte beim Kauf deiner Jacke darauf, dass du auch auf dem Rücken tragen kannst. Bei meiner Lieblingsjackenfirma Vivalamama-Berlin heißen diese Jacken dann 4in1 Jacken (bei Männern entsprechend 3in1 Jacken, da es keine Schwangerschaftsfunktion gibt). Bist du dir nicht sicher, ob eine Jacke eine Rückenfunktion hat, dann schaue dir die Produktbilder genau an. Ist ein Reißverschluss am Rücken, so ist die Jacke auch für das Rückentragen konzipiert worden. Teste die Passform der Jacke immer ohne Trageeinsatz: So kannst du sicher sein, dass sie auch ohne Baby genutzt werden kann.
Die meisten Tragejacken haben auch eine Schwangerschaftsfunktion bzw. besitzen einen Schwangerschaftseinsatz. Eigentlich wäre es also sinnvoll eine entsprechende Jacke bereits in der Schwangerschaft zu kaufen, da Tragejacken zugegebenermaßen nicht sehr günstig sind. Das liegt vor allem daran, dass der Markt dafür sehr klein ist und die meisten Firmen bei der Auswahl ihrer Stoffe auf hohe Qualität achten. Auch die Schnitte der Jacke sind für das Tragen besonders angepasst, sodass das Baby unter der Jacke Platz findet und beispielsweise die Atemwege trotzdem frei bleiben. Eine neue Tragejacke, die unter 100€ kostet kann in den genannten Punkten also nur Abstriche machen.


Tragecover
Tragecover gibt es in unterschiedlichen Varianten, Stoffzusammensetzungen und Preiskategorien. Theoretisch ist es auch möglich ein Tragecover selbst zu nähen. Das Tragecover umhüllt dein Baby und hält es schön warm: Achte darauf, dass auch die Füße deines Babys ins Tragecover gehüllt sind. Ein großer Vorteil des Tragecovers ist auf jeden Fall der Preis. Modelle aus Fleece sind meist sehr günstig. Außerdem kannst du nach Herzenslust deine vorhandenen Winterjacken wechseln. Nachteil ist jedoch, dass du deine Jacke beim Tragen offen lassen musst. Wärmere Tragecover aus Wollwalk und entsprechend wasserabweisende Cover sind auch preislich wieder teurer.

Auf dem Rücken kannst du mit dem Tragecover nur über deiner Jacke tragen. Der wichtige Effekt, dass ihr euch beim Tragen gegenseitig wärmt geht also verloren. Wenn du im Winter schon ein älteres Baby hast, dann müsstest du es also vorne Tragen.
Alternativ zum Tragecover gibt es auch noch Tragewesten. Auch hier müsstest du deine Jacke beim Tragen offen lassen. Dein Körper ist aber zumindest komplett von der Weste umhüllt. Auch in der Übergangsjahreszeit sind solche Westen sehr von Vorteil. Und wenn es so richtig kalt ist, dann verwende ich meine Weste auch gerne als zusätzliche Schicht unter meiner Tragejacke.

Jackenerweiterung
Eine Jackenerweiterung macht deine vorhandene Jacke zu einer Tragejacke. Je nach System wird der Jackeneinsatz entweder an den Reißverschluss deiner Jacke angepasst, oder an deine Jacke geklipst. Zwei bekannte Hersteller sind Kumja und Cocoome. Die meisten Jackenerweiterungen können auch schon in der Schwangerschaft genutzt werden. Achte beim Kauf darauf, dass der Jackeneinsatz auch für die entsprechende Jahreszeit passt. Hier gibt es durchaus Unterschiede zwischen wärmenden Jackenerweiterungen oder Erweiterungen, die „nur“ Wind und Regen abhalten sollen. Um mit dem Jackeneinsatz auf dem Rücken zu tragen, müsste deine vorhandene Jacke jedoch umgenäht werden. Dabei wird das Rückenteil der Jacke zerschnitten und mit einem Reißverschluss versehen, sodass die Jackenerweiterung auch dort eingesetzt werden kann. Kumja bietet dies auch als Service an, wenn du mit deiner Jackenerweiterung auf dem Rücken tragen willst.

Warum Schleppen mich glücklich macht?!

Wenn man Trageberatung anbieten möchte, dann kommt man irgendwann an den Punkt, dass man dem Ganzen auch einen Namen geben möchte. Mein Mann und ich überlegten hin und her, welcher Name nun passen könnte. Im Internet lasen wir viele tolle Ideen… aber diese Namen waren nun schon vergeben und „einfach nachmachen“ wollte ich auch nicht. Es sollte zu mir passen, zu meiner Einstellung, die ich zum Tragen haben, zu dem, was ich mit dem Tragen verbinde.

Wenn ich genauer drüber nachdenke, dann bedeutet Tragen für mich einfach Glück. Das kann für jeden auch etwas anders ausgelegt sein. Manch einer ist glücklich, weil sein Kind sehr nah beim ihm ist. Ein anderen ist vielleicht glücklich, weil er mit Kind in der Trage und freien Händen den Alltag besser meistern kann und wieder jemand anderes ist vielleicht einfach nur glücklich, weil das Kind nicht mehr weint und endlich in den Schlaf findet. Tragen kann auf viele verschiedene Wege glücklich machen.

So war zumindest ein Teil des Namens geboren. Ich überlegte also weiter, recherchierte im Internet und sicher bin ich nicht die einzige Trageberaterin, die Tragen mit Glück in Verbindung bringt. Ich bat Freundinnen um Ideen, brachte meinen Mann zur Verzweiflung und zerbrach mir den Kopf, weil mir einfach nix Gutes einfallen wollte und ich auch die besten Vorschläge nicht so einfach annehmen konnte. Irgendwie passte es noch nicht oder es passte einfach nicht zu mir.

Bei meinen Beratungen möchte ich Eltern gerne die Freude vermitteln, die ich beim Tragen empfinde. Und damit meine ich keine Gefühlsduselei, sondern die Freude die entsteht, wenn am Ende der Beratung alle zufrieden mit der gefundenen Tragelösung sind. Wenn eine Mama oder ein Papa die Erleichterung im Alltag findet, die sie oder er sich gewünscht hat. Es soll Spaß machen sein Kind zu tragen und keine leidige Pflicht werden, weil man „das eben nun mal so macht“ oder „weil ein Kind sich so am besten entwickelt“. Die Eltern in meiner Beratung sollen keine Angst haben etwas falsch zu machen, weil man beim Tragen sooooo vieles beachten muss. Mit ein paar Tipps und Tricks und der richtigen Produktwahl werden Eltern zu Experten beim Umgang mit ihrem Kind. Das Tragen wird zur Intuition. Niemand sollte am Ende mit einem Geodreieck vorm Spiegel stehen, um die Winkel an Hüfte und Oberschenkel zu messen oder sich fragen müssen, ob der Rücken nun die optimale Rundung hat. Vielleicht sollte man auch einfach alles ein bisschen lockerer sehen?

Die besten Ideen kommen wie immer direkt aus dem Alltag und sind mitten aus dem Leben gegriffen. Unsere jüngste Tochter ist ein Vollbluttragling. Wir tragen sie jeden Tag über mehrere Stunden. Durch Homeoffice übernimmt auch mein Mann gerne eine Tragerunde und kann auch mit schlafendem Kind seiner Arbeit nachgehen. Es soll an dieser Stelle kein Geheimnis bleiben, dass ich mich sehr darüber freue, denn auch wenn ich das Tragen liebe, kann ich es durchaus genießen, wenn ich einen Moment für mich habe.
Eines Morgens, nachdem die wievielte Nacht in Folge nicht besonders erholsam war und ich noch vollkommen übermüdet im Bett lag, neben mir ein motziges, schlecht gelauntes, weinerliches Baby, kam mein Mann ins Zimmer. Ich streckte ihm das Kind entgegen, verstellte mein Stimme um die Situation irgendwie etwas aufzuhellen und sagte zu ihm: „Papa, schlepp mich rum….bitte Papa, schlepp mich glücklich“. Und genau das war der Moment. Da war mein Name, auf den ich so lange gewartete hatte.

Tragen und Schleppen….kann man das machen?
Ich mochte „Schlepp mich glücklich“. Aber machte mir durchaus darüber Gedanken, ob man das so sagen darf. Ist der Begriff „Schleppen“ vielleicht zu negativ? Sollte das Tragen von Babys und Kindern nicht eher vermitteln, dass dies mit Leichtigkeit geschieht?
Wollen wir mal ehrlich sein: Je älter die Kinder werden, desto schwerer werden sie. Mit der richtigen Bindeweise oder einer gut passenden Tragehilfe kann man dieses Gewicht sehr gut auf den Körper des Trägers verteilen. Aber man kann es nicht wegzaubern. Wer seine Kinder viel und lange trägt, braucht sicherlich auch ein Training, aber für gewöhnlich kommt das von ganz alleine, weil unsere Babys mit einem guten Startgewicht auf die Welt kommen und unser Körper sich langsam an das steigende Gewicht gewöhnt. Und ganz abgesehen davon ist man mit Kindern unterwegs meistens eh gut bepackt. Je nach Alter des Babys oder Anzahl der Geschwister hat man also immer irgendwas dabei. Niemand hat gesagt, dass Eltern sein leicht ist ;-).

Ich sehe das „Schleppen“ meiner Kinder also mit einem gewissen Augenzwinkern. In Tragekreisen bezeichnet man auch hin und wieder mal ein Produkt als „Schleppfetzen“ und auch hier spielt natürlich Humor mit.
„Schlepp mich glücklich“ passt zu mir, zu meiner Einstellung zum Tragen und zu unserer Familie. Ich freue mich, wenn auch du nach einer Beratung mit etwas mehr Leichtigkeit durch deinen Alltag kommst. Wenn das Tragen für dich mehr Freude als Pflicht bedeutet, wenn es dich und dein Baby einfach glücklich macht.


Der Mensch ist ein Tragling

Immer wieder kommt es vor, dass man mit einem Baby in der Trage (im Tuch steigert sich das ganze sogar noch) seltsam angesehen wird. Mal sind es nur mitleidige Blicke, die zum Ausdruck bringen, wie arm dieses kleine Wesen doch dran sein muss: eingequetscht und vollkommen bewegungsunfähig an Mama oder Papa gebunden, weil sich diese – so glaubt man – keinen Kinderwagen leisten können. Ein anderes Mal auch Kommentare ob DAS überhaupt gesund sein kann, gepaart mit Vorurteilen, die besagen, dass getragene Kinder später oder gar niemals laufen lernen, eine zu enge Bindung aufbauen und letztlich vollkommen verwöhnt sein werden.

Bei unserer ersten Tochter habe ich mich über sowas zunächst (innerlich) aufgeregt, dann argumentiert und erklärt, um letztlich mit „Ihr seid doch auch ohne den ganzen Firlefanz groß geworden und ganz gut geraten“ abgefertigt zu werden. Leider das Totschlagargument der älteren Generation. Über den Sinn und Unsinn dieser Argumentationsweise möchte ich hier allerdings nicht schreiben, denn dann würde der Beitrag sicherlich kein Ende finden.

Als Naturwissenschaftlerin halte ich mich gerne an Fakten und spätestens beim zweiten Kind reichen mir diese vollkommen aus, um gelassener mit seltsamen Blicken und Kommentaren umzugehen.

Menschenkinder sind Säugetiere (ich denke doch, dass wir uns hier alle einig sind) und eben diese haben in der Aufzucht ihrer Jungen unterschiedliche Strategien entwickelt. Sie sind im Laufe der Evolution entstanden und hängen vor allem mit der Lebensweise der Tiere in ihrer Umwelt zusammen. Der Bereich der Naturwissenschaft, der sich mit dieser Forschung beschäftigt nennt sich Verhaltensbiologie. Es geht also darum die verschiedensten Tierarten in ihrem Verhalten zu beobachten, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erforschen. Der Mensch bildet dann in Konsequenz Kategorien, um die Tiere zu ordnen.

So gibt es die Nestflüchter. Tiere, die direkt nach ihrer Geburt in der Lage sind zu Laufen, um dann mit dem Muttertier und ggf. seiner Herde mithalten zu können. Diese Tiere gönnen sich nach der Geburt nur eine kurze Ruhepause. Das Jungtier versucht so schnell wie möglich aufzustehen, letztlich auch um an die Muttermilch zu gelangen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Pferd. Das Fluchttier ist darauf angewiesen alsbald nach der Geburt laufen zu können, um seiner Mutter und der Herde zu folgen. Dieses Verhalten bzw. diese Fähigkeit sichert das Überleben des Fohlens, denn ohne die Mutter würde es Verhungern und ohne die Herde wäre es Fressfeinden gegenüber schutzlos.

Weiter werden in der Biologie die Nesthocker beschrieben. Das Muttertier bereitet vor der Geburt ein Nest (meist an einem versteckten Ort) vor, um die Jungtiere vor Feinden zu schützen. Nach der Geburt sind die Jungtiere nackt, taub und blind. Die Augenlieder und Gehörgänge werden vor der Geburt verschlossen und öffnen sich erst später. Zum Säugen legt sich die Mutter zu ihren Jungen. Danach verlässt sie jedoch das Nest, um auf Nahrungssuche zu gehen. Ihre Jungen verhalten sich bis zu ihrer Rückkehr ruhig. Da sie weder mobil, noch ihre Sinnesorgane voll ausgereift sind, sind sie Fressfeinden außerhalb des Nestes schutzlos ausgeliefert. Auch hier sichert das Verhalten der Jungtiere – hier speziell das ruhige Verhalten während der Abwesenheit des Muttertieres – ihr überleben.

Dass Menschen nicht zu den Nestflüchtern gehören, scheint einleuchtend. Kein Säugling kann kurz nach der Geburt krabbeln oder laufen und folgt seiner Mutter auf dem Weg aus dem Kreißsaal. Zu den Nesthockern könnten auf den ersten Blick Parallelen gezogen werden. Doch hier muss man ganz genau hinsehen! Ein Menschenkind kommt vielleicht nackt auf die Welt, doch insgesamt gleicht die Behaarung der des erwachsenen Menschen. Ein Baby ist außerdem weder taub noch vollkommen blind, auch wenn es zunächst nur schlecht sehen kann. Die Sinnesorgane sind sehr gut ausgebildet. Und für mich ein ganz entscheidener und auch einleuchtender Grund ist das Verhalten des Muttertieres: Eine Menschenmutter würde niemals ein Neugeborenes 5-6 Stunden unbeobachtet in einem Zimmer liegen lassen, um den Einkauf zu bewerkstelligen. Unabhängig davon, ob dieses Vorgehen die Aufsichtspflicht verletzt, bin ich der festen Überzeugung, dass eine Mutter es einfach nicht übers Herz bringen würde das Baby alleine, unbeobachtet und unversorgt zu lassen. Über die Gefühle der Katzenmutter beim Verlassen ihrer Jungen kann ich in diesem Fall nichts Genaues sagen, aber würde das Verlassen der Jungtiere ihrem Instinkt widersprechen, dann würde sie es nicht tun.

Es gibt noch einen dritten Jungentypus bei den Säugetieren, der sich von den beiden anderen unterscheidet. Ein Tragling wird nach seiner Geburt vom Mutter- oder auch Vatertier getragen. Dies geschieht aktiv (Jungtier klammert sich fest) oder passiv (Jungtier wird in einem Beutel transportiert). Die Hand- sowie die Fußhaltung der Traglinge ist anatomisch so angelegt, dass sie sich im Fell des Elterntieres festhalten können. Beispiele für solche Tiere sind der Koala, das Faultier und auch viele Primaten.

Nach dem Ausschlussprinzip müsste das Menschenkind also den Traglingen zugeordnet werden. Aber auch ein direkter Vergleich zeigt Parallelen zu den Eigenschaften und Fähigkeiten der Traglinge anderer Tierarten.
Besonders interessant ist die Stellung der Hüft-, Knie-, und Fußgelenke. In Ruhelage – also beispielsweise, wenn man ein Baby auf den Rücken legt – sind die Beine angewinkelt und angehockt (Anhock-Spreiz-Haltung). Das komplette Skelett des Säuglings ist auf diese Position ausgelegt, was man daran merkt, dass bei erzwungener Streckung nicht nur der Winkel der Hüfte verändert wird, sondern sogar die Wirbelsäule ins Hohlkreuz gedrückt wird. Die Anhock-Spreiz-Haltung ist die Haltung, die ein Säugetier zum Tragling macht, denn nur durch diese Körperhaltung wird das Tragen überhaupt erst möglich. Sie ermöglicht, dass der Tragling aktiv am Trageprozess beteiligt ist, sich bei Bewegung ausbalancieren kann und durch Stellung der Arme und Füße im Fell des Muttertieres festhalten kann. Und genau an dieser Stelle müssen wir ehrlicherweise auch ein paar Abstriche machen, denn die Evolution des Menschen hat auch zu anatomischen Veränderungen des Menschenbabys geführt. Der Greifreflex, der auch bei unseren Babys zu erkennen ist, ist im Vergleich zu dem der Menschenaffen von der Greifkraft vermindert. Bei der Mutter fehlt außerdem ein Fell zum Festkrallen und auch der aufrechte Gang des Menschen erschwert zusätzlich das Festhalten des Säuglings bei der Mutter. Ein vollkommen selbstständiges aktives Anklammern ist dem Menschenbaby also nicht (mehr) möglich, wenn auch die wichtigsten Grundvoraussetzungen gegeben sind.

Um das Baby am Körper der Mutter oder des Vaters zu tragen, bedarf es etwas Unterstützung. Ganz klassisch kann man sein Baby auf die Hüfte setzten und mit dem Arm stützen. Wir können uns als Eltern aber auch ein Tragetuch oder eine Tragehilfe zu Nutze machen, um unseren „halb-aktiven“ Tragling zu unterstützen. Beim Tragen sprechen wir zwar oft von „einbinden“, sollten uns aber ins Gedächtnis rufen, dass wir durch Tuch oder Trage nur unsere evolutionsbedingten körperlichen Veränderungen kompensieren. Auch im Tragetuch nimmt das Baby aktiv am Trageprozess teil. Der Mensch – wollen wir ihn also in eine der drei Kategorien einordnen – gehört zu den Traglingen.

In dem Wissen, dass wir als Trageeltern eben alles genauso machen, wie es die Natur vorgesehen hat, können wir auch den kritischen Blicken und Kommentaren stand halten. Wir können uns sicher sein, dass das Tragen unseren Kindern nicht schadet, denn ihr Körper ist anatomisch darauf ausgerichtet getragen zu werden. Wir wissen, dass das Tragen keine Modeerscheinung, sondern Teil unserer Evolutionsgeschichte ist. Auch ein Blick in die Kulturen der Welt gibt uns Recht, denn hier ist das Tragen nicht in Vergessenheit geraten, sondern war und ist schon immer Teil der Eltern-Kind-Beziehung.

Die Zufriedenheit und das Wohlgefühl unserer Babys gibt uns letztlich Recht und genau darauf kommt es im Endeffekt an.

Quelle

Hassenstein, B., Kirkilionis, E. (1992) Der menschliche Säugling – Nesthocker, Nestflüchter oder Tragling? Wissenschaft und Fortschritt. Zeitschrift für interdisziplinäres Denken 42 (1), 24-28
https://www.verhaltensbiologie.com/publizieren/fachartikel/PDF/T1.pdf

Tragen ist wie Zaubern können

Das Baby ist satt, frisch gewickelt, hat gerade geschlafen und müsste eigentlich rundum zufrieden sein… So viel zur Theorie in der Babypflege, aber in der Praxis sieht es nun mal anders aus. Das liegt in den meisten Fällen daran, dass Menschenkinder zu den Traglingen gehören und die Nähe von Mama oder Papa gerne auch lautstark einfordern. Sie machen das nicht, um uns um den Verstand zu bringen, sondern sichern damit ihr Überleben. Das ist für so einen kleinen Menschen doch ziemlich schlau, oder?
Auch wir Eltern haben das dringende Bedürfnis ein weinendes Baby auf den Arm zu nehmen, um es zu beruhigen. Es wird also kein Zufall sein und ist sicherlich auch keine „Begleiterscheinung“ der bedürfnisorientierten Erziehung, die hin und wieder als „moderner Ferz“ abgetan wird. Und so ganz nebenbei, wurden Babys und Kinder auch in der Vergangenheit – auch wenn nur wenigen Menschen ein Tragetuch dafür benutzt haben – von ihren Eltern getragen. Nur eben auf dem Arm und später auf den Schultern…

Doch was hat Tragen nun mit Zaubern zu tun?
Zauberei hat immer etwas Magisches; etwas was man sehen kann, aber vielleicht nicht unbedingt erklären. Und wenn man dann so ein kleines, weinendes Wesen im Arm hat und keine Idee mehr, wie man weiter helfen kann, dann kommt es einem doch ein wenig wie Zauberei vor, wenn sich das Baby in der Trage schneller beruhigt als man gucken kann.

Zudem bietet das Tragen viele weitere Vorteile, die ich hier gerne zusammenfassen möchte. So wie beim Zaubern steckt hinter jedem Trick eben eine Wahrheit oder in unserem Fall die Wissenschaft, die sich mit den positiven Zusammenhängen des Tragens beschäftigt hat.

Vorteile für das Baby

  • Positive Auswirkungen auf die motorische und kognitive Entwicklung. Um hier nur ein paar Beispiele zu nennen: Aktivierung des Gleichgewichtssinns und der Koordination, Kräftigung der Nacken- und Rumpfmuskulatur, Bildung von synaptischen Verbindungen im Gehirn, Förderung der nonverbalen Kommunikation.
  • Tragen unterstützt die gesunde Hüftentwicklung von Babys und wirkt so einer Hüftdysplasie entgegen. Je nach Ausprägung der Hüftreife kann Tragen hier auch therapeutisch wirken. Bei einer diagnostizierten Hüftdysplasie muss aber auf jeden Fall in Absprache mit dem Kinderarzt die richtige Behandlung besprochen werden!
  • Getragene Babys weinen nachweislich weniger. Dies wurde 1986 in einer Studie festgestellt. Am stärksten war dieser Zusammenhang bei 6 Wochen alten Babys sichtbar. Hier weinten die getragenen Babys insgesamt 43% weniger. In den Abendstunden wurde das Weinen sogar um 51% reduziert.
  • Durch den Körperkontakt beim Tragen wird Oxytocin ausgeschüttet. Das sogenannte Bindungshormon hat viele positive Auswirkungen. Oxytocin wirkt stressreduzierend, entspannend auf den Körper, schmerzlindernd und fördert so auch den Schlaf. Auch beim Stillen spielt Oxytocin eine wichtige Rolle und wirkt positiv auf den Milchspendereflex.
  • Eine Abflachung des Hinterkopfes, welche bei liegenden Babys oft vorkommt, kann durch das Tragen vermindert oder vermieden werden.

Vorteile für Mama und Papa

  • Mit Baby im Tragetuch oder der Tragehilfe kann man die alltäglichen Aufgaben besser bewältigen, denn man hat beide Hände frei. Gibt es bereits ein älteres Geschwisterkind, so kann man mit dem Baby in der Trage auch dessen Bedürfnissen besser gerecht werden.
  • Getragen Babys weinen weniger (siehe oben) und das vermindert natürlich auch den Stress der Eltern.
  • Ein gut eingebundenes Baby verteilt sein Gewicht optimal auf den Körper des Trägers. Das hat für den Träger den Vorteil, dass es nicht zu Fehl- oder Überlastungen des Bewegungsapparates kommt. Auch der Beckenboden wird im Vergleich zum Tragen des Babys auf dem Arm durch eine korrekte Bindeweise oder gut eingestellte Tragehilfe entlastet.
  • Tragen stärkt die Bindung. In einer Studie waren getragenen Babys signifikant mehr sicher gebunden, als die Kinder der Kontrollgruppe.
  • Uneingeschränkte Mobilität: Es gibt relativ wenige Situationen im Alltag, in denen das Tragen nicht möglich ist, und man einen Kinderwagen benötigt. Umgekehrt gibt es aber viele Situationen, in denen ein Kinderwagen sehr umständlich ist, oder sein Gebrauch einfach unmöglich. Vor allem bei Ausflügen auf unwegsamem Gelände kann eine Trage sehr praktisch sein. Außerdem ist sie im Packmaß kompakter als ein Kinderwagen.
  • In Tragetuch oder Trage ist das Baby geschützt vor übergriffigem Verhalten durch Fremde. Ich selbst habe es schon gesehen und sogar selbst erlebt, dass fremde Personen der Meinung sind, dass man in den Kinderwagen greifen kann, um ein Baby anzufassen, die Wange zu knaufen oder sonstiges. In Tuch oder Trage ist dein Baby nah bei dir und andere Menschen wahren automatisch einen gewissen Abstand.
  • Wünscht man sich nach der Geburt wieder sportlich aktiv zu werden, so gibt es spezielle Sportangebote mit Baby in der Trage.

Quellen

Hartz, Höwer, Kienzle-Müller: Babys im Gleichgewicht. Geborgen und getragen im erste Lebensjahr. Elsevier, 2018.

Anisfeld E, Casper V, Nozyce M, Cunningham N. Does infant carrying promote attachment? An experimental study of the effects of increased physical contact on the development of attachment. Child Dev. 1990 Oct;61(5):1617-27. doi: 10.1111/j.1467-8624.1990.tb02888.x. PMID: 2245751.

Hunziker UA, Barr RG. Increased carrying reduces infant crying: a randomized controlled trial. Pediatrics. 1986 May;77(5):641-8. PMID: 3517799.

Williams LR, Turner PR. Infant carrying as a tool to promote secure attachments in young mothers: Comparing intervention and control infants during the still-face paradigm. Infant Behav Dev. 2020 Feb;58:101413. doi: 10.1016/j.infbeh.2019.101413. Epub 2019 Dec 24. PMID: 31877392.