Das Baby ist satt, frisch gewickelt, hat gerade geschlafen und müsste eigentlich rundum zufrieden sein… So viel zur Theorie in der Babypflege, aber in der Praxis sieht es nun mal anders aus. Das liegt in den meisten Fällen daran, dass Menschenkinder zu den Traglingen gehören und die Nähe von Mama oder Papa gerne auch lautstark einfordern. Sie machen das nicht, um uns um den Verstand zu bringen, sondern sichern damit ihr Überleben. Das ist für so einen kleinen Menschen doch ziemlich schlau, oder?
Auch wir Eltern haben das dringende Bedürfnis ein weinendes Baby auf den Arm zu nehmen, um es zu beruhigen. Es wird also kein Zufall sein und ist sicherlich auch keine „Begleiterscheinung“ der bedürfnisorientierten Erziehung, die hin und wieder als „moderner Ferz“ abgetan wird. Und so ganz nebenbei, wurden Babys und Kinder auch in der Vergangenheit – auch wenn nur wenigen Menschen ein Tragetuch dafür benutzt haben – von ihren Eltern getragen. Nur eben auf dem Arm und später auf den Schultern…
Doch was hat Tragen nun mit Zaubern zu tun?
Zauberei hat immer etwas Magisches; etwas was man sehen kann, aber vielleicht nicht unbedingt erklären. Und wenn man dann so ein kleines, weinendes Wesen im Arm hat und keine Idee mehr, wie man weiter helfen kann, dann kommt es einem doch ein wenig wie Zauberei vor, wenn sich das Baby in der Trage schneller beruhigt als man gucken kann.
Zudem bietet das Tragen viele weitere Vorteile, die ich hier gerne zusammenfassen möchte. So wie beim Zaubern steckt hinter jedem Trick eben eine Wahrheit oder in unserem Fall die Wissenschaft, die sich mit den positiven Zusammenhängen des Tragens beschäftigt hat.
Vorteile für das Baby
- Positive Auswirkungen auf die motorische und kognitive Entwicklung. Um hier nur ein paar Beispiele zu nennen: Aktivierung des Gleichgewichtssinns und der Koordination, Kräftigung der Nacken- und Rumpfmuskulatur, Bildung von synaptischen Verbindungen im Gehirn, Förderung der nonverbalen Kommunikation.
- Tragen unterstützt die gesunde Hüftentwicklung von Babys und wirkt so einer Hüftdysplasie entgegen. Je nach Ausprägung der Hüftreife kann Tragen hier auch therapeutisch wirken. Bei einer diagnostizierten Hüftdysplasie muss aber auf jeden Fall in Absprache mit dem Kinderarzt die richtige Behandlung besprochen werden!
- Getragene Babys weinen nachweislich weniger. Dies wurde 1986 in einer Studie festgestellt. Am stärksten war dieser Zusammenhang bei 6 Wochen alten Babys sichtbar. Hier weinten die getragenen Babys insgesamt 43% weniger. In den Abendstunden wurde das Weinen sogar um 51% reduziert.
- Durch den Körperkontakt beim Tragen wird Oxytocin ausgeschüttet. Das sogenannte Bindungshormon hat viele positive Auswirkungen. Oxytocin wirkt stressreduzierend, entspannend auf den Körper, schmerzlindernd und fördert so auch den Schlaf. Auch beim Stillen spielt Oxytocin eine wichtige Rolle und wirkt positiv auf den Milchspendereflex.
- Eine Abflachung des Hinterkopfes, welche bei liegenden Babys oft vorkommt, kann durch das Tragen vermindert oder vermieden werden.
Vorteile für Mama und Papa
- Mit Baby im Tragetuch oder der Tragehilfe kann man die alltäglichen Aufgaben besser bewältigen, denn man hat beide Hände frei. Gibt es bereits ein älteres Geschwisterkind, so kann man mit dem Baby in der Trage auch dessen Bedürfnissen besser gerecht werden.
- Getragen Babys weinen weniger (siehe oben) und das vermindert natürlich auch den Stress der Eltern.
- Ein gut eingebundenes Baby verteilt sein Gewicht optimal auf den Körper des Trägers. Das hat für den Träger den Vorteil, dass es nicht zu Fehl- oder Überlastungen des Bewegungsapparates kommt. Auch der Beckenboden wird im Vergleich zum Tragen des Babys auf dem Arm durch eine korrekte Bindeweise oder gut eingestellte Tragehilfe entlastet.
- Tragen stärkt die Bindung. In einer Studie waren getragenen Babys signifikant mehr sicher gebunden, als die Kinder der Kontrollgruppe.
- Uneingeschränkte Mobilität: Es gibt relativ wenige Situationen im Alltag, in denen das Tragen nicht möglich ist, und man einen Kinderwagen benötigt. Umgekehrt gibt es aber viele Situationen, in denen ein Kinderwagen sehr umständlich ist, oder sein Gebrauch einfach unmöglich. Vor allem bei Ausflügen auf unwegsamem Gelände kann eine Trage sehr praktisch sein. Außerdem ist sie im Packmaß kompakter als ein Kinderwagen.
- In Tragetuch oder Trage ist das Baby geschützt vor übergriffigem Verhalten durch Fremde. Ich selbst habe es schon gesehen und sogar selbst erlebt, dass fremde Personen der Meinung sind, dass man in den Kinderwagen greifen kann, um ein Baby anzufassen, die Wange zu knaufen oder sonstiges. In Tuch oder Trage ist dein Baby nah bei dir und andere Menschen wahren automatisch einen gewissen Abstand.
- Wünscht man sich nach der Geburt wieder sportlich aktiv zu werden, so gibt es spezielle Sportangebote mit Baby in der Trage.
Quellen
Hartz, Höwer, Kienzle-Müller: Babys im Gleichgewicht. Geborgen und getragen im erste Lebensjahr. Elsevier, 2018.
Anisfeld E, Casper V, Nozyce M, Cunningham N. Does infant carrying promote attachment? An experimental study of the effects of increased physical contact on the development of attachment. Child Dev. 1990 Oct;61(5):1617-27. doi: 10.1111/j.1467-8624.1990.tb02888.x. PMID: 2245751.
Hunziker UA, Barr RG. Increased carrying reduces infant crying: a randomized controlled trial. Pediatrics. 1986 May;77(5):641-8. PMID: 3517799.
Williams LR, Turner PR. Infant carrying as a tool to promote secure attachments in young mothers: Comparing intervention and control infants during the still-face paradigm. Infant Behav Dev. 2020 Feb;58:101413. doi: 10.1016/j.infbeh.2019.101413. Epub 2019 Dec 24. PMID: 31877392.